Die Revanche der Alten Damen
Fünf Jahre ist es her, dass Wormatia Worms zum vorerst letzten Mal den Bitburger-Verbandspokal gewann. Der Sieg gegen den FK Pirmasens führte den VfR auf einen Pfad der Erinnerung im DFB-Pokal. Am Ende stand eine erfolgreiche Revanche…
Rückblende: 23. September 1978. Wormatia Worms geht in der zweiten DFB-Pokal-Hauptrunde gegen Uefa-Cup-Teilnehmer Hertha BSC mit einem 1:1 in die Verlängerung. Dramatik pur, als Wormatia-Keeper und Ex-Herthaner Thomas Zander in der 115. Minute einen Elfmeter pariert – und so das Remis zementiert. Denn statt eines Elfmeterschießens wollte der Modus damals ein Wiederholungsspiel – bei dem das Heimrecht wechselte. Angesetzt wird es auf Mittwoch, den 4. Oktober 1978, um 19.30 Uhr im Olympiastadion.
Als die Wormser Truppe von Trainer Eckhard Krautzun in der Raststätte „Grunewald“ Quartier bezieht, könnte die Stimmung kaum besser sein: Die wohl beste Wormatia-Elf nach dem Krieg steht vor dem Sprung an die Spitze der 2. Liga Süd – der drei Tage später auch gelingen sollte. Entsprechend selbstbewusst sieht man der Berliner Neuauflage entgegen. Zumal Hertha-Coach Kuno Klötzer große Verletzungssorgen plagen: „Ich weiß noch gar nicht, ob ich eine komplette Mannschaft zusammen bekomme.“
„Schiebung! Schiebung!“
Entsprechend erwartungsvoll startet der Wormatia-Bus kurz nach 17 Uhr Richtung Olympiastadion, eine Polizei-Eskorte mit Blaulicht vorweg. An der Arena erstes Stirnrunzeln: Das Rund ist noch recht kümmerlich beleuchtet. Vor der Einfahrt angekommen, folgt die nächste Überraschung: Das Tor ist zu. Davor haben sich Hunderte Hertha-Fans versammelt: teils ratlos, teils aufgebracht – einige skandieren „Schiebung! Schiebung!“
Der Bus darf einfahren – die Fans bleiben ausgesperrt. Irgendwas mit dem Flutlicht sei nicht in Ordnung, wird gemunkelt. Dann macht die Runde, was Radiosender gegen 17.30 Uhr gemeldet hätten: das Spiel falle aus. Angeblicher Grund: ein defektes Kabel an der Notstromanlage. Bis zu jenem Zeitpunkt sind Wormatias Verantwortliche noch von keiner offiziellen Seite über einen möglichen Ausfall informiert.
In den nächsten Minuten erhellt sich manches – oder auch nicht. Der Stadion-Verwalter erklärt, beim üblichen Sicherheitscheck um 13.30 Uhr habe er ein defektes Kabel entdeckt. Und da der Schaden in Kürze nicht zu beheben sei, habe man das Stadion „von Amts wegen“ gesperrt. So seien eben die Bestimmungen – basta.
Zwar riecht es förmlich nach „bestelltem Stromausfall“, denn von der Hertha lässt sich auch kaum jemand blicken. Doch Wormatias Bosse glauben noch an einen üblen Scherz, wollen das Ganze nicht wahrhaben. Auch Krautzun ignoriert zunächst die informelle „Ansage der Absage“ – und beordert seine Jungs zum Warmmachen auf den Rasen. Erst um 19.07 Uhr erfolgt die offizielle Absetzung – 23 Minuten vor dem angesetzten Spielbeginn.
Die Diskussionen aber gehen da erst richtig los, der Berliner Blätterwald rauscht: Der renommierte Tagesspiegel etwa schreibt von einer „neuen Hertha-Kapriole“ und einem „Kasperle-Theater“. Und die Bild titelt: „Pokal-Skandal: Wie Worms in Berlin hinters Licht geführt wurde“. Obwohl die Sache streng nach abgekartetem Spiel stinkt, werden die Wormser Einsprüche abgeschmettert. Denn Wormatia habe keine Beweise gebracht… Ergo mussten die Wormaten drei Wochen später wieder nach Berlin, hielten bis fünf Minuten vor Schluss ein 0:0 – und kassierten dann doch noch zwei Treffer gegen eine wieder deutlich besser besetzte Hertha.
Das Wiedersehen der beiden Mannschaften
Doch das war noch nicht das Ende des Dramas zwischen den beiden Alten Damen. 33 Jahre, zehn Monate und 15 Tage später führt der DFB-Pokal die Hertha wieder nach Worms. Die EWR-Arena brodelt, und das nicht nur wegen der Historie. Denn es brennt vom Mittagshimmel: 36 Grad – und es wird‘ noch heißer… Doch die Wormser geben Gas, gehen schnell in Front – SWFV-Auswahlspieler Martin Röser holt einen Elfmeter raus, den Tim Bauer einnetzt (3.) – und verteidigen anschließend aufopferungsvoll – sensationell etwa, wie Artur Krettek auf dem Flügel Änis Ben-Hetira abkocht. Doch Sandro Wagner gleicht aus (64.) und Hertha drängt auf den Sieg – nicht wirklich wirkungsvoll indes. Das nutzt die Wormatia: Romas Dressler drehte sich geschickt in eine Flanke – und chippt das Leder per Fußspitze zum 2:1 ins Netz (82.). Die Revanche der Alten Dame Wormatia gegen die Alte Dame Hertha ist geglückt. Und die bundesweite Aufmerksamkeit wieder da, und das in jenem Herbst 2012 recht nachhaltig – denn in der nächsten Runde ist gegen den 1. FC Köln erst im Elfmeterschießen Schluss…
Text: Frank Beier und Christian Schreider
Foto: KUNTZ